The Valley / Das Tal
übersetzt aus dem Französischen
– von Simone Dompeyre, Kuratorin, Rencontres Internationales Traverse Vidéo, Toulouse, Frankreich, 2025
Der bestimmte Artikel mag täuschen: Der Begriff „Tal“ entwickelt sich hier in mehreren Bedeutungsfeldern – als topografischer Raum, der im Spiel durchschritten wird; als Titel einer erinnerungstragenden Fotografie, deren Faksimile integraler Bestandteil der Installation ist; und als Anspielung auf das „Uncanny Valley“, jenes unheimliche Zwielicht zwischen menschlich und künstlich, mit Verzweigungen in die Felder der Psychoanalyse, Robotik und der Künstlichen Intelligenz.
Der Titel ist eine Mise en abyme – eine selbstreflexive Spiegelstruktur, die sich durch Intermedialität entfaltet: Verschiedene Medien durchdringen einander, ohne sich gegenseitig aufzuheben, und jeder verweist auf die Ausdrucksweise, den Diskurs und die inhaltliche Tiefe der anderen.
An der Wand hängt ein Bildschirm, der die Ästhetik von Videospielen widerspiegelt – virtuell, mit Sequenzen, die an Gaming erinnern. Der Bildschirm hängt inmitten eines darüber projizierten Films mit einem langen Rolltext, der die spielerische Oberfläche in eine ernstere Dimension verschiebt – getragen vom Gewicht des geschriebenen Wortes. Doch das Englische erzeugt hier einen Raum des Missverstehens, der bereits beim Hören der Voice-over-Kommentare spürbar wird. Ein Raum, den bereitgestellte französische Übersetzungen – als laminiert ausgelegte Textblätter – zu überbrücken versuchen; eine Lösung, die zugleich die Beteiligung der Besucher:innen einfordert.
Diese Übersetzung war zunächst als mitlaufender Text geplant, orientiert am englischen Original. Doch sie hätte den Filmtext verlängert und dessen geplanten Einsatz im Zeitablauf des Videos verschoben.
Und dann ist da noch die Fotografie – genau jene, auf die sich der Text bezieht...
Trotz des scheinbar fließenden Textverlaufs, der Nachbilder aus einzelnen Buchstaben oder seltenen Wörtern hinterlässt, entsteht hier gerade nicht eine ruhige, in sich stimmige Kontemplation – denn der Auslöser ist kein Spiel, sondern der Krieg, den die Ukraine erleidet. Wolfgang Oelze berichtet, dass im Februar 2022 – kurz vor dem russischen Angriff – im deutschen Fernsehen russische Militärvideos ausgestrahlt wurden. Die Bilder erschütterten ihn und lösten eine Kette von Fragen aus, die seine Installation nun aufgreift.
Diese Fragen sind nicht in einer logischen Reihenfolge geordnet, sondern folgen dem Verlauf eines Gesprächs, das sich in Abschweifungen verliert, Gedankensprüngen und Wortassoziationen folgt und persönliche Erinnerungen wachruft. Hinzu kommen sehr unterschiedliche Fragen: Was geschieht dort wirklich? Wie funktionieren Lernalgorithmen? Welche Aufgaben übernimmt der Computer? Immer kreisen diese Überlegungen um das, was ausgestrahlt und verbreitet wird.
Hier prallen Hypothesen über russische Inszenierungen auf Überlegungen zur Wirkung des „Uncanny Valley“, jenes Phänomens computergenerierter Bilder. Das „Uncanny Valley“ – ein Echo des deutschen Begriffs „unheimlich“, den Freud theoretisierte (auch wenn die Verbindung im Text nicht vertieft wird) – ebenso wie Jung, die beide von den Sprecher:innen im Film erwähnt werden.
Zur Erinnerung: Der Begriff wurde außerhalb der Psychoanalyse geprägt, um das Unbehagen zu beschreiben, das Menschen gegenüber humanoiden Robotern empfinden – gerade weil diese zu menschlich wirken. Das „Uncanny Valley“ dient hier als Annäherung an die Kluft zwischen „Realismus und Ablehnung“, die zugleich auf eine Anspielung zur Künstlichen Intelligenz verweist. Anschließend wechselt der Diskurs zur kollektiven Unbewusstheit, zur „Schattenfigur als Porträt unserer verborgenen mentalen Bildwelt“, um schließlich zur „kognitiven Kartographie, der Meta-Kenntnis“ zu führen, wie sie durch das Spiel erzeugt wird – und von dort zurück zur Fotografie.
Parallel dazu, ohne direkte Verbindung, verändert die allgegenwärtige Spielwelt ihren Schauplatz – eine Landschaft, in der künstlich gesetzte Bäume und ein kleiner Lichtdom die Szenerie formen, ebenso ein Teich, der allerdings „kleiner Ozean“ genannt wird… Sie ruft die Vorstellung einer fernen, erleuchteten Stadt wach, nähert sich industriellen Arealen mit Schienen, auf denen ein Landrover seltsam reglos steht, streift Wellblechbauten, Baracken und Trägerkonstruktionen, in der Nähe von Maschinen, die an archaische Ölbohrgeräte erinnern. Ein verfallener Innenraum mit Kartons, chinesischen Schriftzeichen, Töpfen und anderen Gefäßen, vor Farnen und einem plötzlich auftauchenden roten Fleck wird durchquert. All dies spielt sich im Fluss der Gespräche ab.
Die Bildwechsel sind schnell und rasant, mit Zeitraffer, Rück- und Vorwärtsbewegungen, Akzente setzende Ruckler… Die Farben sind übersteuert, zu grün, zu rot, manchmal entrückt durch unrealistische Farbgebung.
Ein Entwickler von Computerspielen tritt auf und verteidigt die Kraft der realistischen Zerstörung in seiner virtuellen Landschaft. Ebenso spricht ein „Spezialist“, der fiktive Orte des Spiels beschreibt – Randzonen der Gesellschaft. Das Denken wird fortwährend herausgefordert und muss aufmerksam folgen, um nicht von der flüchtigen Bilderwelt vereinnahmt zu werden – oder sich andererseits zu bequem in ihr einzurichten.
Und dann – markant ausgestellt an der Wand – eine gerahmte Fotografie. Sie stellt sich dem Spiel entgegen und antwortet auf die im Text verstreuten Hinweise.
„Foto einer Landschaft ohne Vegetation oder Gebäude. Ferne Sicht, verdeckt durch Hügel. Kugelförmige Objekte, Kanonenkugeln.“
Das Foto trägt den Titel „Valley of the Shadow of Death“, datiert auf das Jahr 1855, und gilt als eines der ersten Kriegsfotos. Die Urheberschaft wird – neben dem originalgetreu wiedergegebenen Faksimile nach den Verfahren von 1855 – benannt mit: Roger Fenton. Es handelt sich um den Krimkrieg.*
Doch dann springt die Diskussion zur Möglichkeit einer Fälschung – ein Verdacht, der rasch entkräftet wird durch den Hinweis auf die offizielle Anerkennung der Echtheit im Jahr 2007, samt Erläuterung, wie dieser Zweifel überhaupt entstand: ausgelöst durch gefälschte Fotografien der US-amerikanischen Propaganda zu den Angriffen auf den Irak 2003, die dazu dienten, eine Gegenoffensive zu rechtfertigen.
Auch wenn die Verbindung nicht explizit gezogen wird – jede wachsame Bürgerin, jeder wachsame Bürger wird sie mit Putins Methoden assoziieren.
So wird der Weg durch das Spiel, so sehr er auch irritiert, zum Weckruf, zum Erkenntnismoment, zum Warnsignal.
Anmerkung: *Zur Erinnerung – die fotografischen Verfahren von 1855 erforderten lange Belichtungszeiten. Historisch: Von März bis Ende Juni desselben Jahres unternahm die britische Regierung mehrere Versuche, eine Fotoeinheit zum belagerten Sewastopol zu entsenden, wo Großbritannien und Frankreich das Osmanische Reich gegen Russland unterstützten. Schließlich wurde Roger Fenton, ein Freiwilliger, entsandt, finanziert von einem Verlag für illustrierte Nachrichten. Er musste im Morgengrauen fotografieren, um zu verhindern, dass die Entwicklungsbäder überhitzten, durfte nicht auffallen, da sein Wagen leicht zum Ziel wurde, konnte sich wegen seines Gewichts kaum schnell bewegen – und wollte Diskussionen mit Soldaten, die fotografiert werden wollten, vermeiden. Er fotografierte keine Toten, keine Verletzten, keine Lazarette, sondern nur Porträts, Ruheszenen… Insgesamt brachte er 360 Glasplattenaufnahmen mit, die später auf Papier abgezogen wurden. Das Lebendige war schwer einzufangen, denn Schnappschüsse wurden erst zwischen 1870 und 1880 möglich. Die Glasplatte musste mit nassem Kollodium beschichtet, die Aufnahme gemacht und sofort entwickelt werden, bevor die Emulsion trocknete.