Schleifen
über Kerben, Kanten, Löcher und Loops in der Musik von Wolfgang Oelze
Vielleicht sollte man als erstes festhalten, dass auf der Platte „Kontakt“ Musik zu hören ist. Es scheint müßig, heutzutage so etwas noch zu betonen, aber da Wolfgang Oelze vorrangig als bildender Künstler arbeitet und Rezipienten zeitgenössischer Kunst nicht zwangsläufig mit zeitgenössischer Musik vertraut sind (und vice versa), könnte die vorliegende Facette seiner Arbeit leicht missverstanden werden als konzeptuelles Nebenprodukt seiner Foto- und Videoarbeiten oder gar als schlichter Lärm.
Die Klänge, die Wolfgang Oelze auf „Kontakt“ benutzt, stammen hauptsächlich von elektrischen Gitarren und bewegen sich hörbar in einer Tradition geräuschhaften unkonventionellen Spiels, die von Musikern ‚zwischen den Stühlen‘ Jazz, Rock, Punk, Improvisation usw. seit den 1960er Jahren entwickelt wurde. Bei aller individuellen Verschiedenheit geht es dabei nicht primär um die ‚klassischen‘ musikalischen Parameter Tonhöhe/Harmonik und Rhythmus (platt gesagt ‚Melodie‘), sondern um die Komposition mit Geräuschen. Und um Kompositionen (im Gegensatz zu Improvisationen) handelt es sich hier.
Die Platte beginnt mit dem längsten Stück, quasi einer Exposition, einer Vorstellung des Materials und der Methoden. Darauf folgt eine Reihe kürzerer prägnanter Studien, die sich meist nur mit einer Konstellation beschäftigen. Zusammen können sie als eine Art Suite gehört werden, oder auch als ein langes Werk. Auffällig nämlich sind die immer wiederkehrenden Pausen innerhalb der einzelnen Stücke. Sie verleiten dazu, auch die Pausen zwischen den ‚offiziellen‘ Stücken nicht als trennend zu hören, sondern als ein kurzes Innehalten, bevor ein neuer Anlauf unternommen oder eine andere Textur eingeführt wird. Ein Eindruck, der sich bei einer Vinylplatte noch verstärkt, wo jede Plattenseite leicht als Einheit wahrgenommen wird.
Die immer wieder auftauchenden Loops sind ein weiteres formbildendes Gestaltungsmittel (darin lassen sie an die Endlosrillen auf der LP „From Here To Infinity“ (1987) von Lee Ranaldo denken, einem Gitarristen, der solo und mit seiner Band in der erwähnten Tradition arbeitet.
Auffallend auch die vielen perkussiven Klänge, die an Glöckchen, Glocken oder Gongs erinnern, aber auch an Trommeln – typisch für sogenannte präparierte Gitarren (analog zu John Cages präpariertem Klavier), wobei Objekte auf und zwischen den Saiten platziert werden. Hier wird allerdings auch eine andere Methode verwendet, indem die Aufnahmen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten abgespielt werden.
Teil des Reizes dieser Platte ist, dass sie insgesamt einen Live-Eindruck vermittelt, aber doch auch Ergebnis von Studiomanipulationen ist: die verschiedenen Geräusche, Phrasen, Samples und Loops werden überlagert und geschichtet zu teils dichten Texturen, einem Brummen und Rauschen, aus dem glasklare Splitter hervorbrechen.
Es ist anzunehmen, dass Wolfgang Oelze Ideen und Verfahren seiner Fotografien und Videos auch in der Musik umgesetzt hat (und umgekehrt). Interessanterweise führt beispielsweise die Idee des ‚Formlosen‘ (s. sein Buch „The Qualm“, 2014) hier zu etwas anderem: nämlich zu einer strukturierten Musik mit Kanten und Brüchen, die wenig Ähnlichkeit mit Wolken oder Rauch hat. Dabei taucht nun die Frage auf, wo Wolken eigentlich formlos sind. Aber dies führt bereits zur Interpretation. Zunächst allerdings sollte man hören.
Robert Engelbrecht, November 2015